BIM lehren und lernen an der HTWK Leipzig
Eine zentrale Voraussetzung für den Erfolg von BIM-Projekten ist die BIM-Kompetenz der beteiligten Akteure. In vorherigen Veröffentlichungen [1] [2] stellten wir das Lehrkonzept für ein interdisziplinäres BIM-Seminar an der HTWK Leipzig (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur) in Kooperation mit der TU Dresden vor: „Woher kommen die BIM-Experten von morgen?“. In diesem Beitrag gehen wir einen Schritt weiter und erläutern, welche Vorbereitungen und zugehörigen Lehrunterlagen das akademische BIM-Projekt für die Studierenden begleiten.
Viele Rollen, ein Ziel
Die interdisziplinäre, fakultätsübergreifende BIM-Lehre hat sich an der HTWK Leipzig etabliert. Seit 2016 stürzen sich jährlich ca. 30 bis 50 Studierende über 15 Wochen in die Planung eines fiktiven Bauprojekts (siehe Abbildung 1). Im Jahr 2019 konnte das Konzept in Zusammenarbeit mit der TU Dresden auf die hochschulübergreifende Ebene gehoben werden.
Abbildung 1: Fiktives Bauvorhaben im BIM-Modul mit Neubau an der HTWK Leipzig (links) und Sanierung an der TU Dresden (rechts) im Wintersemester 2021/2022
Eine wesentliche Besonderheit ist hierbei: die Arbeit der Studierenden wird in Fachgruppen organisiert: Objektplanung, Tragwerksplanung, TGA-Planung, Brandschutzplanung, Bauphysik und Baubetrieb stehen zur Wahl. Innerhalb dieser Fachgruppen erhalten die Studierenden unterschiedliche BIM-Rollen (BIM-Gesamtkoordinator, BIM-Koordinator, Informations- und Qualitätsmanager, BIM-Autor etc.). Ziel des Moduls ist, dass die Studierenden möglichst schnell selbst organisiert arbeiten. Nach einer anfänglichen Phase der Wissensvermittlung treten die Lehrenden zurück in die Rolle des Auftraggebers und Lernbegleiters.
Einerseits gibt diese Arbeitsteilung den Studierenden die einzigartige Chance, den open BIM-konformen Informationsaustausch und Koordinationsprozess (über ein Common Data Environment, über IFC, über BCF etc.) möglichst realitätsnah zu erleben und eigene Erfahrungen zu sammeln. Andererseits erfordert es zahlreiche organisatorische Vorbereitungen, damit alle Beteiligten an einem Strang ziehen und ein gemeinsames Ziel verfolgen.
AIA und BAP bilden das Herzstück
Damit die Studierenden zielgerichtet arbeiten, dienen die AIA (Auftraggeber-Informations-
Anforderungen) als wichtigster Kompass. In den AIA wird die Gesamtaufgabe des BIM-
Projekts in Anwendungsfälle und Meilensteine zerlegt. Durch die Zuordnung der
Anwendungsfälle und Meilensteine (siehe Abbildung 2) zu den Fachgruppen können die
Leistungsbilder für die Teams und Rollen abgeleitet werden. Die in den AIA definierten
Anforderungen bilden zugleich die Grundlage für die Bewertung der Studierenden.
Das Gegenstück zu den AIA bildet ein Vor-BAP (vorläufiger BIM-Abwicklungsplan), der durch
die Studierenden zum BAP fortgeschrieben werden soll. Im BAP legen die Studierenden ihre
gemeinsame Strategie dar, wie sie die Anforderungen der AIA erfüllen werden. Dazu gehören
beispielsweise die Dokumentation der auszutauschenden Informationsanforderungen,
verwendete Regeln für die Modellprüfung sowie Einstellungen für den Export von IFC-
Modellen.
Individuelle Hilfestellungen ermöglichen effiziente Einarbeitung
Die Erfahrungen aus den ersten Jahren des BIM-Moduls an der HTWK Leipzig belegen, dass der Aufwand zur Selbstorganisation der Studierenden höher ist, je weniger flankierende Hilfestellungen ihnen als Orientierungshilfe bereitgestellt werden. Um eine tiefergehende Einarbeitung in den BIM-Prozess zu ermöglichen, erhalten die Studierenden zusätzlich zu den AIA folgende unterstützende Dokumente.
Dokument | Inhalt |
Organisatorischer Ablaufplan | durch die Lehrenden fest vorgegebene Termine im Seminarablauf |
Inhaltlich-fachlicher Projektablaufplan | durch die Studierenden selbstständig zu strukturierender Zeitplan |
Modellierungsrichtlinie | Anhaltspunkte für die modellierenden Teams bezüglich des Achsrasters, des Koordinationskörpers (siehe Abbildung 3), der Geschossebenen inklusive Namenskonventionen sowie Links zu softwarespezifischen Modellierungsrichtlinien |
Technische Spezifikationen | Anhaltspunkte für alle Teams hinsichtlich der Klassifizierung und Attribuierung, den Informationsanforderungen sowie ausgewählten Workflows |
Protokollvorlage | Vorlage zur Dokumentation von Projektbesprechungen |
Projektunterlagen | Anhaltspunkte für die fachliche Gestaltung der Modelle |
Abbildung 3: Vorgabe für den Koordinationswürfelhaufen zur Integration der Fachmodelle aus der Modellierungsrichtlinie
Die bereitgestellten Hilfestellungen sind so umfangreich, dass die Studierenden mehrere Wochen zur Einarbeitung benötigen. Die Lehrenden sind angehalten, die Zusammenhänge teilweise mehrfach zu erläutern, damit die Studierenden den gesamten Kontext ihrer Aufgabe verinnerlichen. Da einzelne Studierende selten den Überblick über alle Dokumente gleichzeitig haben, sind individuelle Konsultationen der Lehrenden mit den jeweils zuständigen Rollen von hoher Bedeutung. Die BIM-Koordinatoren müssen die AIA und Zeitpläne im Blick behalten, die BIM-Autoren müssen die Modellierungsrichtlinien praktisch anwenden und die IQ-Manager müssen ihre Prüfroutinen an den Anforderungen der Technischen Spezifikationen und den getroffenen Festlegungen aus dem BAP ausrichten.
Verhältnis von Aufwand und Nutzen
In den Erstellungs- und Überarbeitungsprozess der Lehrunterlagen für das BIM-Modul waren zahlreiche Forschungsprojekte und Abschlussarbeiten involviert, insbesondere die im Folgenden dargestellten Arbeiten.
Forschungsprojekte | DigiTransSachs [3] (2018 – 2022) |
Digitale Transformationsprozesse in der sächsischen Wirtschaft |
BIM-Lernwelt [4] (2019 – 2020) |
Eine offene, digitale Lernwelt zur virtuellen Lehrkooperation mittels Building Information Modeling | |
Digitale Hochschulbildung in Sachsen [5]
(2020 – 2021) |
Komplexe Problemlösungsstrategien für Ingenieure mittels Virtual Reality und Big Data | |
Studentische Abschlussarbeiten | Florian Fliegel (Masterarbeit, 2020) |
Untersuchung praktikabler Konzepte für die Erstellung von Auftraggeber-Informations-Anforderungen und BIM-Abwicklungsplänen im Planungsprozess |
Kristian Linke (Masterarbeit, 2021) |
Erstellung von Auftraggeber-Informations-anforderungen, BIM-Abwicklungsplan und digitalen Modell-Prüfregeln für ein BIM-Projekt an der HTWK Leipzig | |
Daniel Busk (Masterarbeit, 2022) |
Die Erstellung eines BIM-konformen Workflows zur Koordinationsplanung von Objektplanung und dem zugehörigen Änderungsmanagement | |
Toni Nabrotzky (Bachelorarbeit, 2020) |
Entwicklung von Prüfszenarien zur Bewertung von CDE-Plattformen für den Einsatz in der Lehre an der HTWK | |
Katrin Kienzler, Friederike Nordheim, Tom Radisch [6] (Masterprojektarbeit, 2021) |
Erstellung eines BIM-konformen Workflows zur Konzeptionierung von Systemen der Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik mithilfe von Modellierungs- und Berechnungssoftware |
Im Ergebnis entstand ein umfangreiches Repositorium, das es den Studierenden ermöglicht, sich innerhalb von 15 Wochen in tiefergehende Anwendungsfälle einzuarbeiten. Dazu zählen beispielsweise (i) die Anwendung selbst entworfener regelbasierter Prüfroutinen auf Grundlage eines eigenen Modellierungsstandards, (ii) die Modellkoordination basierend auf selbst ermittelten Bauteilbemessungen in der Tragwerks- und TGA-Planung (siehe Abbildung 4) sowie (iii) die Durchführung einer IFC-basierten Schlitz- und Durchbruchsplanung.
Abbildung 4: Blick hinter die Fassade im IFC-basierten Koordinationsmodell der Neubauplanung an der HTWK Leipzig im Wintersemester 2021/2022
Insgesamt bewerten die Studierenden die BIM-Lehre in ihrem Feedback am Semesterende als großen Erfolg. Aus Sicht der HTWK Leipzig bedarf es viel Vorbereitung und lohnt sich dennoch umso mehr, ein selbst organisiertes, studentisches BIM-Projekt zum Leben zu erwecken.
Quellen
[1] Radisch, Tom.; Menzel, Karsten; Schüler, Johannes Frank; Möller, Ulrich (2020): Cross disciplinary Project Based Learning in the context of Building Information Modelling (p. 369 – 380).
In: Guerra, Aida; Chen, Juebei; Winther, Maiken; & Kolmos, Anette (Hrsg.) (2020). Educate for the future: PBL, Sustainability and Digitalisation 2020. https://vbn.aau.dk/en/publications/educate-for-the-future-pbl-sustainability-and-digitalisation-2020
[2] Radisch, Tom (2020): Woher kommen die BIM-Experten von morgen? BIM lehren und lernen an der HTWK Leipzig. https://bimhelden.de/woher-kommen-die-bim-experten-von-morgen-bim-htwk-leipzig/
[3] Möller, Ulrich; Radisch, Tom (2022): DigiTransSachs – Digitale Transformationsprozesse in der sächsischen Wirtschaft – Building Information Modeling. https://digitranssachs.htwk-leipzig.de/themenfelder/building-information-modeling/
[4] Möller, Ulrich; Menzel, Karsten (2020): Eine offene, digitale Lernwelt zur virtuellen Lehrkooperation mittels Building Information Modeling. https://ihbb.htwk-leipzig.de/en/forschung/digitale-lernwelt-bim/
[5] Möller Ulrich; Menzel, Karsten (2021): Komplexe Problemlösungsstrategien für Ingenieure mittels Virtual Reality und Big Data. https://ihbb.htwk-leipzig.de/en/forschung/natuerliche-belueftung-unterirdischer-fernwaermekanaele/
[6] Kienzler, Katrin; Nordheim, Friederike; Radisch, Tom (2021): Erstellung eines BIM-konformen Workflows zur Konzeptionierung von Systemen der Heizungs-, Lüftungs- und Sanitärtechnik mithilfe von Modellierungs- und Berechnungssoftware. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:l189-qucosa2-789575. https://www.notion.so/BIM-konformer-Workflow-zur-Konzeptionierung-von-TGA-Systemen-mithilfe-von-Autodesk-Revit-SolarCompu-8d47492797a64b49a225be7a753ca0f4.
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