Der Erfolg eines BIM-Projekts ist neben den Fragen zum Einsatz geeigneter Technologien, Prozesse und Richtlinien vor allem von einer Ressource abhängig: der BIM-Kompetenz der beteiligten Akteure. Die HTWK Leipzig forscht daher zu der Frage „Wie muss die BIM-Lehre von morgen aussehen?“ und hat ein interdisziplinäres Seminar-Konzept ins Leben gerufen, bei dem Fakultäts- und Hochschulgrenzen überwunden werden.

„Constructive Alignment“ im Kontext von BIM

John Biggs begründete mit seiner Methode des „Constructive Alignment“ die Idee, dass Lehrkonzepte an der Fragestellung ausgerichtet werden sollen, welche Kompetenzen Lernende als Output ihrer Ausbildung erlernen sollen. In Bezug auf die BIM-Methode sind viele Kompetenzen gefragt, die zukünftige Ingenieure entwickeln müssen: (i) ein einheitliches Verständnis der grundlegenden BIM-Terminologie, (ii) technische Fertigkeiten für die Erstellung, den Austausch und die Koordination von Fachmodellen, (iii) organisatorische und kommunikative Fertigkeiten im Hinblick auf die Abstimmung mit anderen Fachgewerken, (iv) Fertigkeiten der kritischen und prüfenden Auseinandersetzung mit den erzielten Projektergebnissen und vieles mehr. Darüber hinaus sollen die gewonnenen Erkenntnisse stets auf dem aktuellen Stand der rasanten technologischen Weiterentwicklung von BIM-Anwendungen sein und in einen interdisziplinären Kontext eingebettet werden, da gerade die Schnittstellen zwischen den Gewerken von entscheidender Bedeutung für das Gelingen von BIM-Projekten sind. Für die HTWK Leipzig ergibt sich daraus folgende Erkenntnis: die BIM-Lehre erfordert praktisch orientierte, flexible Lehrkonzepte, die Studierende aus unterschiedlichen Fachrichtungen zusammenbringen.

Das Konzept einer „Virtuellen Lehrkooperation“

Im Rahmen eines vom Bildungsportal Sachsen geförderten Verbundprojekts „Virtuelle Lehrkooperationen 2019/2020“ haben die TU Dresden (Leitung: Prof. Dr.-Ing. Karsten Menzel) und die HTWK Leipzig (Leitung: Prof. Dr.-Ing. Ulrich Möller) unter dem Titel „Eine offene, digitale Lernwelt zur virtuellen Lehrkooperation mittels Building Information Modeling“ ein gemeinsames Lehrkonzept entwickelt und im Wintersemester 2019/ 2020 erstmals erfolgreich durchgeführt. Die Grundidee lautet: ca. 50 Studierende aus unterschiedlichen Fachrichtungen arbeiten in einem selbst organisierten, fiktiven BIM-Projekt zusammen in einem gemeinsamen Planungsprozess. Je nach Studiengang und Erfahrungsschatz werden die Studierenden in folgende Teams eingeteilt: Objektplanung, Tragwerksplanung, TGA-Planung, Brandschutz, Bauphysik und Baubetrieb. Die physische Trennung der Studierenden durch die Entfernung der beiden Hochschulen aus Leipzig und Dresden trägt darüber hinaus dazu bei, ein Szenario kooperierender Planungsbüros zu verwirklichen.

Abbildung 1: Fertiggestelltes Planungsobjekt als Ergebnis des BIM-Moduls

Dabei wird das Seminar eingebettet in eine umfassende Infrastruktur, um möglichst realitätsnahe Abläufe simulieren zu können. Dazu zählen vorbereitete Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) sowie ein zugehöriger vorläufiger BIM-Abwicklungsplan (BAP), eine zentrale Projektverwaltungsplattform und die Ausstattung der Studierenden mit fachspezifischer Software (genauere Informationen siehe Artikel „BIM an der Hochschule zum Leben erwecken).

Diverse Tools zur Prüfung von BIM-Modellen, zur Verwaltung von BCF-Dateien (BIM Collaboration Format), zur Durchführung von Videokonferenzen, zur Einbindung von VR- und AR-Visualisierungen (Virtual Reality, Augmented Reality) etc. runden das Angebot ab – doch wie können all diese Hilfsmittel möglichst gewinnbringend zur Kompetenzvermittlung eingesetzt werden?

Den „Startschuss“ für das Projekt bilden Vorlesungen, bei denen theoretische Inhalte zur BIM-Terminologie, praktische Einführungen in Softwareanwendungen und organisatorische Hinweise vermittelt werden. Ab der dritten Woche übernehmen dann die Studierenden die Projektorganisation in Eigenregie: sie vereinbaren Modellierungsrichtlinien, einigen sich auf einen Projektablaufplan, modellieren, tauschen Modelle aus, prüfen Modelle, kommunizieren Änderungsbedarfe, treffen sich zu Planungsberatungen und erkunden somit experimentell, wie sie die BIM-Methode möglichst gewinnbringend einsetzen können.

Der Projektablauf mit Win-Win-Situation für alle Beteiligten

Die Lehrenden treten in diesem Lehrkonzept bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Rolle des Lernbegleiters. Vorgaben für die Studierenden zur Protokollierung von Zwischenergebnissen, die Verpflichtung zur regelmäßigen Aktualisierung des BIM-Abwicklungsplans und Zwischenpräsentationen sind wichtige Instrumente, um seitens der Lehrenden den Planungs- und Lernfortschritt regelmäßig prüfen zu können. Dabei hat es sich im Modul der HTWK Leipzig und TU Dresden als sinnvoll erwiesen, dass jedes Team durch eine fachbezogene Lehrkraft individuell begleitet wird, die mindestens einmal wöchentlich für Konsultationen zur Verfügung steht und Feedback an die Studierenden gibt. Weiterhin bieten Projekttreffen im Sinne eines „Get-Together“ aller partizipierenden Studierenden aus Leipzig und Dresden einen entscheidenden Mehrwert, um die Kooperationsprozesse zwischen den Teams zu intensivieren.

Abbildung 2: „Get-Together“ von HTWK Leipzig und TU Dresden im Wintersemester 2019/ 2020

Nicht zuletzt beinhaltet dieses Lehrkonzept eine Besonderheit, die im Kontext von BIM besonders wichtig ist: nicht nur die Studierenden lernen neue BIM-Kompetenzen, sondern auch die Lehrenden partizipieren Jahr für Jahr an den Erfahrungen der Studierenden. Zur Dokumentation der Erkenntnisse dient neben der Abschlusspräsentation maßgeblich ein schriftlicher Abschlussbericht, der von jedem Team als Reflexion der eigenen Arbeit angefertigt wird. Zudem dienen Praxisvorträge externer Partner über ausgewählte Schwerpunkte aus dem BIM-Umfeld, beispielsweise zum Blickwinkel von Auftraggebern, Planungsbüros, Beratungsfirmen u.a., als abrundende Impulsgeber für Lehrende und Lernende.

Am Ende des Seminars steht für die Studierenden keine klassische Prüfung an, vielmehr steht bei der Bewertung der Lernleistung der Weg des Erkenntnisgewinns, des Kompetenzerwerbs und der zugehörigen Planungsleistung im Fokus. Die Einbindung eines Peer Review-Verfahrens ermöglicht es den Lehrenden, die Sichtweise der Studierenden in ihre Beurteilung einfließen zu lassen, die sich und ihre kooperierenden Kommilitonen selbst hinsichtlich definierter Kriterien bewerten müssen.

Positive Resonanz der ersten BIM-Studierenden

Das vorgestellte Konzept der Lehrkooperation von TU Dresden und HTWK Leipzig rief bei den teilnehmenden Studierenden eine überwältigende, positive Resonanz hervor. Insbesondere die Übernahme von Verantwortung in einem selbst organisierten Planungsprozess fördert Kreativität, Eigeninitiative und Engagement der Studierenden, sodass der gewünschte Kompetenzerwerb tatsächlich ermöglicht wird. Diese Lernform der selbstständigen Lösungsfindung ist im Fachgebiet der Didaktik als PBL (problem- bzw. projektbasiertes Lernen) eingeführt und wird beispielsweise in [1] ausführlicher erläutert.

Den Bogen schlagend zur Eingangsfrage „Woher kommen die BIM-Experten von morgen?“ bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass BIM-Kompetenz nach Auffassung der HTWK Leipzig vor allem dort entsteht, wo sich Lehrende und Lernende in ein „learning by doing“ begeben. Kurzum: BIM zu lehren und zu lernen heißt, BIM erlebbar zu machen.

 

[1] Radisch, Tom.; Menzel, Karsten; Schüler, Johannes Frank; Möller, Ulrich (2020): Cross disciplinary Project Based Learning in the context of Building Information Modelling (p. 369 – 380). In: Guerra, Aida; Chen, Juebei; Winther, Maiken; & Kolmos, Anette (Hrsg.) (2020). Educate for the future: PBL, Sustainability and Digitalisation 2020. https://vbn.aau.dk/en/publications/educate-for-the-future-pbl-sustainability-and-digitalisation-2020